Sind wir heute alle allergisch oder intolerant?
«Ich vertrage keine Milch» oder «Kannst du das auch glutenfrei zubereiten?» Wer Freunde und Bekannte zum Essen einlädt, sieht sich fast bestimmt ab und zu mit solchen Hinweisen oder Fragen zum Abendmenü konfrontiert. Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen sind derzeit in aller Munde und in den Medien dauerpräsent – hat man jedenfalls das Gefühl. Doch gibt es heute wirklich mehr Betroffene? Und was bedeutet denn eine Allergie oder Intoleranz für den Alltag vom Zmorge daheim, über den Business-Lunch im Restaurant bis hin zum Dinner bei Kollegen?
Tatsächlich gibt es seit jeher Menschen, die eines oder auch mehrere Nahrungsmittel wegen einer Allergie oder Intoleranz nicht vertragen. Doch genaue Zahlen zur Häufigkeit waren lange nicht bekannt und sind auch heute noch schwierig zu eruieren: Wird in der Bevölkerung eine Umfrage durchgeführt, wer denn an einer Allergie oder Intoleranz leide, geben zirka 25 Prozent an, betroffen zu sein. Allerdings lässt sich diese Zahl mit diagnostischen Tests nicht immer bestätigen: In der Schulmedizin geht man heute davon aus, dass etwa vier bis acht Prozent der Schweizer Bevölkerung eine Nahrungsmittelallergie haben und etwa 20 Prozent unter einer Unverträglichkeit leiden. Warum stimmen die Zahlen nicht überein? Es gibt auch zahlreiche Menschen, die zum Beispiel mit Blähungen auf Zwiebeln reagieren oder denen die Peperoni nach dem Frühlingssalat aufstösst. Dies hat jedoch nichts mit einer Allergie oder Intoleranz zu tun, es handelt sich dabei um ganz normale Reaktionen des Körpers auf schwer verdauliche Lebensmittel. Bei einigen Personen treten diese eher auf oder sie fühlen sich eher dadurch eingeschränkt, während andere die Symptome als weniger störend empfinden.
Wer aber tatsächlich an einer Allergie oder Intoleranz leidet, für den ist es meist unumgänglich, das auslösende Lebensmittel zu meiden. Nur so verschwinden die Beschwerden oder treten gar nicht erst auf. Umfassendes Wissen über Lebensmittel ist deshalb für betroffene Personen sehr wichtig. So wird die Zutatenliste von Lebensmitteln bei schwerwiegenden Allergien zur überlebenswichtigen Informationsquelle. Und der Restaurantbesuch und die Ferien müssen sorgfältig und genau geplant werden: Man muss rechercherien, ob am Ort der Wahl geeignetes Essen zubereitet werden kann oder ob man besser das Eine oder Andere von zu Hause mitnimmt, um nicht vor leerem Teller zu sitzen. Beim Besuch bei Freunden oder an Familienfesten ist man zudem häufig – manchmal peinlich berührt – gezwungen, sich zu outen und seine speziellen Bedürfnisse mitzuteilen.
Wer schon als Kind an Allergien oder Intoleranzen leidet, hat immerhin einen Vorteil: Die Kinder sind von klein an sehr gut darüber informiert, was sie essen dürfen und was nicht. Die Kleinen lernen sehr früh, dass sie nachfragen müssen, ob das Lebensmittel für sie geeignet ist. Eine Nahrungsmittelallergie oder eine Intoleranz kann nicht einfach ignoriert werden, wenn man keine Lust mehr darauf hat. Sie beschäftigt einen – und mit die ganze Familie – fast rund um die Uhr. Zum Glück stellt sich mit der Zeit eine gewisse Routine ein. Und der Umgang mit Allergie oder Intoleranz wird zu einem Teil des Lebens.